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Titel
Sea Spots. Perzeption und Repräsentation maritimer Räume im Kontext englischer und niederländischer Explorationen um 1600


Autor(en)
Hilfiker, Franziska
Erschienen
Köln 2019: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
245 S.
von
Enrique Corredera Nilsson, Universidad Complutense de Madrid

Franziska Hilfikers Monographie widmet sich der Vernetzung von sogenannten «Sea Spots» sowie deren bildlichen und textuellen Konstruktion in englischen und niederländischen Publikationen, die im Rahmen von zwischen 1570 und 1620 unternommenen Explorationen entstanden. «Sea Spots» seien, so die Autorin, «maritime, geographisch lokalisierbare Orte unterschiedlicher Qualitäten [...], welche im Kontext der europäischen Expansion und kolonialen Konkurrenz [...] besondere Präsenz und Wichtigkeit erlangten, indem sie intensiv gesucht, be- und erfahren, in verschiedenen Medien verzeichnet und verhandelt wurden und so zu maritimen Bedeutungsräumen avancierten» (S. 36).

Die Studie, die das Ergebnis einer 2015 an der Universität Basel verteidigten Dissertation ist, knüpft in ihrer methodologischen und theoretischen Herangehensweise an den oceanic turn innerhalb der Raumgeschichte an, nimmt aber zugleich Impulse der Literaturwissenschaft auf, die sich mit der Repräsentation von Meeren und Seeräumen auseinandergesetzt hat. Ausgangspunkt der Untersuchung dieser «Sea Spots» ist die Annahme, dass Meere in Analogie zu terrestrischen Orten keine homogenen Räume sind, die bloss als Zirkulations- und Transportfläche dienen. Ziel der Studie ist es, zu untersuchen, wie «Sea Spots» einerseits ein komplexes Bild der Meere konstituierten und andererseits wie sie zur Projektionsfläche von Identitätsbildern sowie mediale Orte der kolonialen Konkurrenz werden konnten.

Mit Blick auf dieses Ziel ist die Monographie in sechs Kapitel und einem Fazit gegliedert. Kapitel eins führt in das Thema ein, bietet einen Überblick über den Forschungsstand und stellt die Hauptthesen sowie die verwendeten Quellen vor. In Kapitel zwei wird die Lage der beiden maritimen Mächte Grossbritannien und die Niederlande gegen Ende des 16. Jahrhunderts kurz beschrieben sowie die unterschiedlichen Explorationen, aus welchen das verwendete Quellenkorpus hervorging, kursorisch geschildert. Kapitel drei fokussiert auf die Weltumsegelungen und deren Darstellung in unterschiedlichen Karten. Die Umsegelungen werden als in den Karten – und in den dazu passenden Texten – hinterlassene «Spuren» betrachtet (S. 86f.), die eine (vor allem bildliche) Domestizierung des Meeres als kontrollierbaren Raum zu versprechen schienen (S. 87, 97f.). Kapitel vier wirft den Blick auf die «Wahrnehmung und Darstellung von Küsten verschiedener pazifischer Inseln», die als «semimaritime Übergangsräume» verstanden werden (S. 100f.). Als Gebiete zwischen Land und Meer tauchten die pazifischen Insellitoralen in Reiseberichten und Bildern wiederholt als Orte der Begegnung zwischen Europäern und Indigenen auf. Sie wurden dadurch zu Räumen, in die Alterität eingeschrieben und in denen europäische Superioritätsansprüche verhandelt wurden. Das problematische Ein- und Aussteigen in bzw. aus den europäischen Schiffen sowie die fehlenden Schwimmkenntnisse vieler Matrosen standen in offenem Kontrast zu der Geschwindigkeit der insularen «Canoas» und den Tauch- und Schwimmfähigkeiten der lokalen Bevölkerung, die von den Europäern negativ als «amphibische Wesen» (Kap. 4.3., S. 113–123) dargestellt wurde. Kapitel fünf reflektiert über die Bedeutung von Meerespassagen als Konkurrenzorte zwischen europäischen Mächten – sowohl vor Ort als auch auf dem Papier. Am Beispiel der Magellanstrasse wird aufgezeigt, dass die Rivalitäten nicht nur zwischen europäischen Mächten, sondern auch innerhalb eines Königreiches (den Niederlanden), vor Ort sowie in der bildlichen und textuellen Darstellung von Meerespassagen ausgefochten wurden. Kapitel sechs legt den Fokus auf die Explorationen, die eine nordwestliche Passage zwischen Europa und Asien suchten. Die unterschiedlichen Unternehmen fanden zwar keinen Seeweg nach Asien, doch halfen sie mit, die Arktische See als einen besonderen «Sea Spot» zu konstruieren: Es handelte sich um gefrorenes Meer mit einer «beweglichen Geographie» (S. 177), das frei vom Einfluss (bzw. der drohenden Einflussnahme) der iberischen Mächte war und auf das folglich die eigene kollektive (nationale) Identität projiziert werden konnte (S. 198–202). Die arktische See konnte sich sogar vom «Weg zu einem Ort» (S. 178) wandeln: Die Vermutung, man könnte im arktischen Erz Gold finden, liess den englischen Hof für eine kurze Zeit von einem «frozen eldorado» träumen (S. 179–184). Zuletzt rundet Kapitel sieben das Buch ab, indem es die Hauptinhalte eines jeden Kapitels zusammenfasst und diese mit den in der Einleitung aufgestellten Thesen verbindet – leider aber nicht in der erwünschten Tiefe diskutiert.

Diese fehlende Diskussion ist eine der Schwächen des Bandes, der das Potenzial des Themas erkannt, aber nicht vollkommen ausgeschöpft hat. So wird der zentrale Einfluss der iberischen Mächte auf die Konstruktion von «Sea Spots» in Kapitel zwei nur ungenügend thematisiert und auch im Laufe des Buches nicht im Detail diskutiert. Vergleiche mit (vor allem) spanischen Texten oder Fällen kommen zwar in Kapitel drei, vier und fünf vor, doch wird der Einfluss des iberischen kartographischen Diskurses nur auf Seite 85 explizit erwähnt. Sodann werden englischen und niederländischen Beispiele nur undifferenziert behandelt. Die Unterschiede zwischen den Mächten werden im zweiten Kapitel zwar grob geschildert, jedoch wird danach nicht mehr auf sie eingegangen. Dies vermittelt dem Leser den Eindruck, es sei egal, ob die untersuchte Exploration sowie ihren veröf fentlichten Ergebnissen von englischer oder niederländischer Seite stammten. Die Entscheidung, sich nicht allein auf Texte zu konzentrieren, sondern die begleitenden Karten und bildlichen Darstellungen der Explorationen in der Analyse zu integrieren, ist sehr zu begrüssen. Es ist für den Leser aufgrund der unzureichenden Grösse der abgedruckten Bilder allerdings oftmals schwierig, die Details zu erkennen, die im Text diskutiert werden. Dieser Abstrich, der vermutlich mit Kostenüberlegungen zu begründen ist, überschattet allerdings nicht das ansprechende Layout. Überhaupt weist die Monographie einen guten Lesefluss auf und stellt Themen zur Diskussion, die bisher in der deutschsprachigen Forschung nur geringe Aufmerksamkeit erhalten haben.

Zitierweise:
Corredera Nilsson, Enrique: Rezension zu: Hilfiker, Franziska: Sea Spots. Perzeption und Repräsentation maritimer Räume im Kontext englischer und niederländischer Explorationen um 1600, Wien / Köln / Weimar 2019. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte 70 (3), 2020, S. 467-469. Online: <https://doi.org/10.24894/2296-6013.00071>.

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